Digitale Paranoia
Jan Kalbitzer, 2016
Digitale Paranoia: Online bleiben, ohne den Verstand zu verlieren von Jan Kalbitzer, C.H.Beck, 2016. Zwei Psychiater, zwei Bücher – jedoch völlig unterschiedliche Ergebnisse. Jan Kalbitzer, 39 Jahre, ist Psychiater. Manfred Spitzer, 59 Jahre, ist Erfolgsautor. Bücher schreiben funktioniert heute immer noch am besten, wenn man Thesen zuspitzt – und das tut Spitzer. Er meint, dass der zu frühe Umgang mit IT bei Kindern zu Suchtverhalten führt. Kalbitzer belegt das Gegenteil bzw. er erklärt, es gäbe in der Psychodiagnostik überhaupt keine Suchtdiagnose für IT. Zugespitzt wurde das „Fernduell“ durch das völlig aus der Rolle fallenden Manfred Spitzers im Oktober 2016 in der Sendung „Anne Will“. Sascha Lobo, Blogger und Buchautor, provozierte den Psychiater, der das nicht verkraftete. Andere Meinungen scheinen dem ehemaligen Ulmer Professor emotional herauszufordern. Der Focus beschreibt es so: „Moderatorin Anne Will hat Mühe, den aufgebrachten Wissenschaftler Spitzer zu bändigen. Dieser verliert völlig die Fassung. Er spricht von ‘armen Kindern’ und davon, dass Jugendliche erst ab 14 oder 16 Jahren an die digitalen Medien herangeführt werden dürften. Programmieren frühestens ab der achten Klasse. Er sieht schon jetzt viele „seelenlose, willenlose Menschen“, versaut durch Smartphone und Tablet. Sascha Lobo und und der FDP-Vorsitzende Lindner versuchen, zu widersprechen. Vergeblich. ‘Sie haben keine Ahnung!’, redet sich der Psychiater weiter in Fahrt. Anne Will versucht es: ‘Herr Spitzer? Herr Spitzer! Können Sie mich hören?“ Jan Kalbitzer hat Recht, wenn er Spitzer Unredlichkeit vorwirft. Er kann in solchen Sendungen keine psychiatrischen Diagnosen über eine ganze Generation treffen. Und nicht nur da fehlt ihm die Distanz. Seriösen Kollegen erweist er damit einen Bärendienst. Auch ist das Buch inhaltlich sehr schwach und in weiten Teilen widerlegt. In den Niederlanden gibt es seit Jahren mehrere Steve-Jobs-Grundschulen, die bereits in der ersten Klasse sehr erfolgreich mit iPads lehren. Störungen bei den Kindern? Fehlanzeige! Die Lernerfolge sind besser als die im klassischen Grundschulunterricht.’ Die Tatsache, dass die Google-Gründer ihre Kinder bis zum 14. Lebensjahr von der IT fernhalten, hat eher etwas damit zu tun, dass sie Fans von den Montessori-Schulen sind – und dementsprechend auf kreatives Lernen und nicht auf Faktenlernen setzen. Es freut uns, dass Herr Kalbitzer Herrn Spitzer zuruft: „Lernentwicklung geht weiter“.
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