Denkwerkstatt für Manager

Geschwill & Nieswandt

In der Produktion in selbstverantwortlichen Teams arbeiten – geht das?

Praxisberichte aus Unternehmen, die sich auf den Weg gemacht haben…. 

Frederic Laloux schwärmte in seinem Buch ´Reinventing Organizations` von FAVI, einer Gießerei in Frankreich. Die Arbeiter arbeiteten selbstverantwortlich ohne Chefs. Dann die 2020 Nachricht: Das Unternehmen kehrt nach 37 Jahren aufgrund eines Eigentümerwechsel zu einer klassischen hierarchischen Arbeitsweise wieder zurück. Der Eigentümer wollte wieder mehr Struktur und Kontrolle. War das das Ende selbstverantwortlicher Sozialromantik in der Produktion? Haben die Reaktionäre in den Produktionsleitungen doch recht, dass Produktionsarbeiter*innen einen Chef brauchen, da sonst die Maschinen stillstehen würden? 
Im Falle von FAVI hat die Abschaffung der Eigenverantwortlichkeit scheinbar erstmal zu großen Personal- und Finanzverlusten geführt. 

 Und wie sieht es in Deutschland damit aus? 

In Deutschland war das meisterliche Credo in Stein gemeißelt: Selbstverantwortung in der Produktion ist schwierig. Und damit die logische Schlussfolgerung, dass der Aufwand sich nicht lohne, das in der Produktion einzuführen.  Dieser Artikel zeigt das Gegenteil. Seit drei Jahren häufen sich in der Denkwerkstatt für Manager die Aufträge, in der Produktion Annäherungen an das FAVI-Modell zu unterstützen. Und tatsächlich hat ein kleines Unternehmen es vorgemacht, wie das es geht.  

Heiler-Glasbau in der Nähe von Bruchsal arbeitet seit 10 Jahren ohne Chefs. War die Fluktuationsrate 2012 noch bei jährlich 12 %, ist sie seit 4 Jahren bei null. Das  Unternehmen prosperiert und die Mitarbeiter können sich nicht mehr vorstellen, anders zu arbeiten.  Den Weg der Transformation mit all seinen Höhen und Tiefen hat Stephan Heiler dokumentiert. Vor allem hat er bewiesen, dass es funktionieren kann.

 Heute ist es sehr schwierig, junge Menschen für Produktionsjobs zu gewinnen. Selbstorganisation in Unternehmen ist da ein Unterscheidungsmerkmal. Wir, die Denkwerkstatt für Manager, sind in Deutschland die Nr. 1 für Kulturveränderungen in Unternehmen. Einige unserer Kunden sind mit uns den Weg gegangen, Denkbarrieren zu brechen und Menschen in der Produktion mehr zuzutrauen. Wir berichten nachfolgend aus vier aktuellen Projekten. 

 Oktaeder Workshops im Lager 

 In einem Handels-unternehmen arbeiten wir seit 6 Monaten in einem Projekt zu Kulturveränderung. Interne Coaches führen dort an der Basis 2-stündige Workshops mit Teams durch, um die Kultur zu verbessern. 600 Menschen beschäftigt das Unternehmen insgesamt. Davon sind 60 Personen in einem Lager. In einer vorgeschalteten Kulturbefragung glaubten die Führungskräfte nicht daran, dass in Workshops mit Lagermitarbeitern etwas herauskommen würde. Die Menschen hätten alle einen Migrationshintergrund, sprächen schlecht Deutsch und hätten ein eher niedriges Bildungsniveau. Die Coaches probierten es trotzdem. Sie stellten den Teams inkl. Führungskräften einen Oktaeder vor. Darin waren acht Themen enthalten, die ein Team verbessern konnte, z.B. Umgang mit Fehlern oder Konflikten, Verbesserung der Kommunikation usw. Die Führungskräfte wurden überrascht. Die Menschen erarbeiten beim ersten Themenbereich sehr praktische Lösungen für ihre Arbeitsplätze. 

Als die Coaches den Workshop verließen baten sie die Teams, die anderen 7 Themen bis in 3 Monaten auch zu bearbeiten. Auch die Coaches wurden überrascht. Bereits nach drei Wochen lagen fertige Pläne vor, wie in den Teams gearbeitet werden sollte. Eine Nachbefragung ergab, dass die kulturellen Maßnahmen von den Teams auch tatsächlich umgesetzt und mit Leben gefüllt wurden. Sie waren schneller als alle anderen Teams im Unternehmen! 

Geht doch: Produktionsmitarbeiter organisieren sich selbst. 

 Die Denkwerkstatt arbeitete bei einem Unternehmen, das in Süddeutschland einer der 200 Hidden Champions ist. In dem Unternehmen arbeiten weltweit 6.000 Menschen, davon ca. 500 in Deutschland in der Produktion. In dem Kulturprojekt, das wir zwei Jahre begleiteten, stellte sich auch immer wieder die Frage ob selbstverantwortliches Arbeiten möglich in der Produktion möglich sei. Es gab eine sehr gut arbeitende Ausbildungsabteilung. Dennoch war es sehr schwierig, fertige Gesellen für die Produktion zu gewinnen und zu halten. Das Arbeiten dort war Old School. Viele Prozesse waren vorgegeben, Menschen waren Mit-Arbeiter nicht Mit-Denker. 

Der Produktionsleiter hatte die Idee, dass die Denkwerkstatt einen Workshop moderieren sollte, in dem 10 Mitarbeiter und 4 Führungskräfte über die Fabrik der Zukunft nachdenken sollten: Viele Vorschläge wurden erarbeitet, um mehr Verantwortung an die Basis zu geben. Als die Teilnehmer*innen zurückkamen und ihre Vorschläge den Kollegen unterbreiteten, stießen sie auf breite Ablehnung der Kollegen. Die Produktionsleitung blieb jedoch dran. In Meisterrunden wurde weiter über selbstverantwortliches Arbeiten in der Produktion diskutiert. Ein Grundsatzpapier über die Fabrik der Zukunft wurde erarbeitet. 

 In einer Gesprächsrunde der Meister und einiger Mitarbeiter*innen wurde vereinbart, dass in zwei Produktionslinien vier Teams einen Ablauf entwickeln sollten, wie sich in Zukunft Mitarbeiter*innen zu Schichtbeginn selbstständig einteilen, fehlende Ressourcen eigenständig organisieren und die REKOS ohne Chefs abhalten. 

 Nach und nach haben die restlichen Teams in Simulationen die neuen Rollen eingeübt. Die schichtverantwortlichen Meister mussten lernen loszulassen und die Mitarbeiter*innen lernten, wie sie sich im Team zunehmend selbst steuern konnten. Inzwischen arbeitet nahezu die ganze Fabrik eigenverantwortlich. Die Meister haben nun mehr Zeit für das Coaching ihrer Mitarbeiter und weitere neue Aufgaben. Ein Team, das an einem Simulationsworkshop teilgenommen hatte, fasste das so zusammen: „Wir kamen vereinzelt und gingen als Team.“ 
Ein Mitarbeitender, der an dem ersten Workshop zur Fabrik der Zukunft teilgenommen hatte, war zwischenzeitlich ein Jahr im Ausland gewesen. Als er zurückkam traute er seinen Augen nicht. „Ihr habt uns damals geteert und gefedert für unsere Ideen!“ Doch die Menschen hatten trotz der ersten Skepsis mehr umgesetzt als zunächst erträumt. Für Azubis ist die Arbeit jetzt wieder interessant.  

Training der Schichtverantwortlichen mitten in der Produktion 

Ein Getränkehersteller hat einen Produktionsbetrieb mit 150 Menschen und ca. 20 Schichtverantwortliche. Das Unternehmen arbeitet im Dreischichtbetrieb. Klassische 2 – tägige Führungstrainings zeigten wenig Erfolg. Der Mutterkonzern in der Schweiz schlug vor mit uns Führungstrainings vor Ort durchzuführen. Geplant war ein Programm zur operativen Exzellenz. Ohne Unterstützung der Führungskräfte an der Basis würde das jedoch nicht funktionieren. Die interne Personalabteilung konnte die Produktionsleitung von dem Weg überzeugen. 

Das bedeutete während der Produktion jeweils 4 Stunden mit den Schichtführerteams zu arbeiten. Nach jedem Impuls bekam jeder Schichtführer ein einstündiges Coaching vor Ort in der Produktion zur Vertiefung und Besprechung individueller Fragen und Probleme. Es gab ein abgestimmtes Themenproramm zu Kommunikation, Mitarbeitendengesprächen, Umgang mit Konflikten und lösungsorientiertem Denken. Der Seminarraum war der Produktionsort. Für Schichtführer ist das hart, in den 10 Stunden Anwesenheit, anspruchsvolles, wenn auch praktisches Führungstraining durchzuführen. 
Nach zwei Runden zeigen sich die Führungskräfte heute schon selbstbewusster und feiern erste Erfolge der Eigenständigkeit. 

Was schließen wir daraus? Produktionen sind sehr wohl veränderbar. Eine Führungskraft sagte uns im Rahmen des Veränderungsprozesses Sätze, die man nicht vergisst:

„Unsere Mitarbeitenden in der Produktion regeln in ihrem Leben ganz viele wichtige Dinge. Sie schließen Finanzierungsverträge ab, planen ihre Altersvorsorge, unterstützen ihre Kindern beim Start ins Leben. Wir Führungskräfte trauen ihnen so wenig zu, dass viele abgeschaltet haben. Das muss sich ändern, sonst haben wir keine Unternehmenszukunft!“