Digitalisierung im Gesundheitswesen
Wissen Sie, was Robo-Ratten sind? In New York bestücken Hirnforscher Ratten mit Hirnelektroden, um die Konzentrationskraft der Nager zu verbessern. Die US-Armee arbeitet an Helmen, die eine ähnliche Funktion beim Menschen ausüben können. Von diesen und vielen anderen Entwicklungen bei „digital health“ berichteten wir auf dem Symposium Smart Culture in Healthcare am 16. Juni in Berlin.
In unserem bewährten Rhythmus, auf einen 20 Minuten-Vortrag folgt ein kritischer Diskurs, startete Roland Geschwill den Symposium-Tag mit einem Vortrag über den US-amerikanischen Zukunftsforscher Alvin Toffler. Seine These: „Die Analphabeten des 21. Jahrhunderts werden nicht diejenigen sein, die nicht lesen und schreiben können, sondern diejenigen, die nicht lernen, verlernen und wieder lernen.“ Eine These, die Toffler bereits 1970 aufstellte – und die heute aktueller ist denn je.
Und weil sicher ist, dass unsere Arbeitsplätze immer digitalisierter werden, werden wir auch immer mehr lernen müssen – was ein enormes Lernprogramm zur Folge hat. Eine Entwicklung, die Toffler bereits vor 50 Jahren voraussah.
Dieser Lerndruck ist allerdings nicht nur für Mitarbeiter und Führungskräfte eine Herausforderung, sondern auch für Unternehmen, die sich entsprechend aufstellen müssen. So verwundern dann auch die Erfahrungen der Symposium-Teilnehmer nicht:
Wir alle wollen möglichst lange, selbstbestimmt und gesund in den eigenen vier Wänden leben. Die digitalen und technischen Trends in allen Lebensbereichen unterstützen uns dabei. Auch das Gesundheitswesen hat zwei Gesichter: Auf der einen Seite agieren wir mit Rezepten, die aus dem Drucker kommen und dementsprechend digital vorliegen, allerdings noch immer in Papierform ausgehändigt werden. Auf der anderen Seite setzt die Medizin invasive Nanosensoren ein, die eine Fülle von Daten über den Menschen zur Auswertung produzieren.
Fakt ist, es wird immer einfacher, digital gesund zu werden und zu bleiben.
Unterstützt werden wir dabei unter anderem durch Diabetes-Therapien über Cloud Computing, dem virtuellen Arzt, elektronischen Fall- und Patientenakten, Wearables usw.
Warum aber passiert so wenig in Deutschland?
Verantwortlich ist dafür eine Vielzahl von Problemen: Da sind auf der einen Seite die unterschiedlichen Interessengruppen und Gesundheitssektoren, die hohe technische Komplexität, die strengen Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit, die unklaren internationalen Richtlinien, offene Finanzierungsfragen.
Auf der anderen Seite fehlende Standards und Interoperabilität, föderale Gesundheits- und Selbstverwaltungssysteme, divergierende und heterogene Patienteninteressen, ein schwieriges Investitionsklima sowie fehlende nationale, flächendeckende Lösungen uvm.
Fakt ist, es wird immer einfacher, digital gesund zu werden und zu bleiben.
Unterstützt werden wir dabei unter anderem durch Diabetes-Therapien über Cloud Computing, dem virtuellen Arzt, elektronischen Fall- und Patientenakten, Wearables usw.
Warum aber passiert so wenig in Deutschland?
Die Menschheit produziert heute in zwei Tagen soviel Daten, wie sie es in der gesamten Geschichte bis zum Jahr 2003 getan hat. Diese gesamte Datenmenge verdoppelt sich alle zwei Jahre, so dass sie im Jahre 2020 bei 40.000 Exabyte (40 Millionen Gigabyte) liegen wird.
Dann ist wahrscheinlich das Optimum der Datenverarbeitung erreicht und das Ende des Mooreschen Gesetzes gekommen. Ein Exabyte hat die Speicherkapazität für 250 Millionen DVDs. In 30 Minuten produziert die Menschheit soviel Daten, wie derzeit in der US-amerikanischen Kongressbibliothek gelagert sind.
2013: Carl Benedikt Frey und Michael Osborne veröffentlichen in ihrer Studie The Future of Employment, das 47 Prozent der in den USA existierenden Arbeitsplätze in 10 bis 15 Jahren obsolet sind.
2015: ING-DiBa kommt zu noch dramatischeren Ergebnissen: Für Deutschland wird geschätzt, dass in den kommenden zehn Jahren 59 Prozent aller Jobs zur Disposition stehen werden. 30 Millionen Jobs wurden analysiert, 18 Millionen sind durch die zunehmende Digitalisierung im gefährdeten Bereich.
Die Bundesregierung sowie die neue Studie Digitalisierung und Arbeitsmärkte der LBBW gehen davon aus, dass NUR etwa die Hälfte der Arbeitsplätze in Deutschland betroffen sein werden.
Moderne Organisationen müssen sich von Modellen, die von oben nach unten gesteuert werden, verabschieden.
Denn einen kulturellen Wandel schaffen Unternehmen nur, wenn sie auf Augenhöhe führen, Entscheidungsprozesse weiter nach unten verlagern sowie bereichsübergreifend zusammenarbeiten.
Viele Digitalisierungsstudien beschäftigen sich ausschließlich mit den technischen Veränderungen. Wenn überhaupt, folgt ganz am Ende noch ein kurzer Hinweis, dass das auch mit kulturellen Veränderungen einhergeht.
Was das konkret bedeutet, wird in der Regel nicht ausgeführt.
Zunächst einmal brauchen Kulturveränderungen eine lange Anlaufstrecke sowie eine Stringenz bei der Umsetzung.
Zur nachhaltigen Verankerung der Kulturentwicklung trägt dabei ein Kompetenzmodell bei, bei dem Selbstführung und Eigenverantwortung im Fokus stehen.
- Die erste Führungsriege muss es aus Überzeugung für richtig und wichtig halten, nachhaltig in laterales Management und damit in Kulturprozesse zu investieren.
- Entwicklung einer Zielprojektion, die Lateralität und Kultur definiert. Zu klären ist: In welchen Bereichen soll laterales Management künftig greifen? Im Management, bei Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten …?
- Die Managementebene soll der wesentliche Träger der Entwicklung sein: weg von der Anweisungshierarchie, hin zur Verantwortungshierarchie.
- Die Führung sollte den Neuanfang glaubwürdig vorleben, damit das mittlere Management zum Katalysator der Kulturänderung werden kann. Vor allem sollte sie die Alles-im-Griff-Mentalität loslassen.
- Zudem bedarf es begleitender Evaluationen, die den jeweiligen Status ermitteln und – bei Bedarf – ein Nachjustieren ermöglichen.
- Ein Kompetenzmodell, das die Erwartungen an verantwortliche Führungskräfte formuliert, muss Grundlage der Managementkultur/-struktur sein.
- Eine Entwicklung der Managementkultur wird am Besten als Projekt realisiert, in dem Projektverantwortliche die Führung beraten.
- Zu beachten: Jede Organisation hat eine eigene Geschichte, einen eigenen Zweck und ein individuelles Aufgaben-/Geschäftsmodell.
- Die veränderte Unternehmenskultur muss passgenau für die Organisation entwickelt werden.
Der Diskurs wird in den nächsten Jahren weitergehen. Das Handeln muss aber sofort starten, wenn man nicht vom Digitalisierungszug überrollt werden will. Und es ist besser, Signalgeber zu sein als am Gleis zu stehen und mit dem Taschentuch zu winken.